Der Kanon-Wettbewerb

Ein Verbindungsstück zwischen den Generationen

Mit seinem Jubiläumskonzert zum 150. Geburtstag hat der Liederkranz Eintracht Serach-Hohenkreuz 1872 e.V. ein Projekt gestartet, das mit Sicherheit schon bald Nachfolger finden wird. Der Kanon-Wettbewerb, um den es dabei ging, brachte Kinder und Erwachsene zusammen – auf der Bühne und im Saal,

Die Nachwuchsfrage 

Es ist nicht so, dass viele Sportarten und Sportvereine nicht auch mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hätten wie unsere Chöre. Die Nachwuchsfrage ist bei allen musischen und sportlichen Aktivitäten gleichermaßen brisant. Hier können wir gegenseitig von Erfahrungen, Ideen und Handlungsweisen lernen und profitieren. 

Die Macht der Stimme

Millionen und Abermillionen Menschen auf dieser Erde leben nicht nur mit, sondern von ihrer Stimme – als Schauspieler, Sänger, Sprecher, Pädagogen, Geistliche, Therapeuten, Verkäufer, Politiker, Dolmetscher usw. Bei ihnen geht es um die Macht der eigenen Stimme, Organ der Vermittlung und Verführung.

Was wissen Eltern von der Bedeutung und den Möglichkeiten, mit einer gesunden, gut funktionierenden, einer dynamischen und farbenreichen variablen Stimme den Grundstein für den beruflichen Erfolg zu legen? Was wissen sie von den Fähigkeiten, die hierfür nötig sind? Was wissen sie von dem Weg, den Perspektiven, die ihren Kindern zur Verfügung stehen, z.B. in einem Chor? Sie wissen viel zu wenig darüber. Denn die Stimme ist das Ereignis, nicht irgendeine Sängerin oder ein Sänger. Der bravouröse Umgang mit der Stimme lohnt sich nicht weniger, wie der meisterhafte Umgang mit einem aufgepumpten Stück Leder. Wenn ein Chor es schafft, der Bevölkerung seines Heimatortes dies zu vermitteln, hat er viel erreicht.

Musik und Sport

Was man nicht weiß, kann man nicht weitergeben. Im Sport ist es einfacher. „Das Runde muss ins Eckige“ ist leichter zu vermitteln als der Vokalausgleich. Mit Sportbedarf, Sportgeräten, Sportbekleidung, Sportausrüstung, Sportzubehör bis zum Heimtrainer lässt sich leichter und mehr Geld ausgeben oder verdienen als mit Musiknoten und Instrumenten. Zur Gesundheit tragen beide bei: Musik und Sport. Und – nicht zu vergessen – Sängerinnen und Sänger üben ihren Beruf in der Regel doppelt so lange aus wie Spitzensportler. Ich nenne nur zwei Namen als Beispiele: Nena (62) und Plácido Domingo (82).

Die Wettbewerbs-Idee

Wie Sportler aller Sportarten benötigen Chöre gemeinsame Herausforderungen und Wettbewerbe. Sie sind wichtig für den gegenseitigen Austausch, die Kommunikation und Motivation. TV-Formate und Casting-Shows wie „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) haben den Gedanken der „challenges & competitions“ zwar erfolgreich in die Amateurszene eingebracht. Dass sie damit musikalischen oder gesangspädagogischen Zielen genützt hätten, kann wohl eher verneint werden. Es ging ja nicht um die kulturellen, sozialen oder medizinischen Aspekte des Singens, sondern in erster Linie ums Geschäft, sozusagen als Vorstufe zum Schlagerwettbewerb.  

Solo- und Chorwettbewerbe auf High-End-Niveau sind weltweit angesagt. Hier werden Chöre mit ihrer Nachwuchssuche nicht fündig. Zum Glück gibt es eine Musikform, die für Amateure und Profis gleichermaßen attraktiv ist und sogar ein- und mehrstimmiges Singen miteinander verbindet. Dies ist bekanntlich der Kanon. 

Jeder kennt ihn, jeder singt ihn. Schon Kitakinder wecken „Bruder Jakob“ mit Stimme und Körperinstrumenten. Und Mozarts Kanon „Dona nobis pacem“ vereint die ganze Welt.  Inhalte und Schwierigkeitsgrade unterschiedlichster Kanon-Kompositionen decken die gesamte Vokalpalette ab, vom Einstieg bis zum Wiedereinstieg.

Der Kanon-Wettbewerb

Der Männerchorverein Eintracht Serach-Hohenkreuz aus Esslingen am Neckar hat Ende 2022 anlässlich seines 150. Jubiläums einen „Kanon-Wettbewerb für ALLE“ durchgeführt. In der Endausscheidung kämpften ein Kinderchor, vier Schulchöre und ein Erwachsenenchor um die Preise und Sonderpreise. Der Begeisterung der Kinder, ihrer Eltern und Angehörigen sowie des gesamten Publikums war groß und setzte sich in den regionalen Presseartikeln der fünf Städte fort, aus denen die Gewinner kamen.

Unterstützt wurde der Wettbewerb übrigens vom BMCO (Bundesmusikverband Chor & Orchester) mit seinem Förderprogramm NEUSTART AMATEURMUSIK.

Oliver Gies, musikalischer Leiter des international erfolgreichen A-cappella-Pop-Quartetts Maybebop und einer der meistgefragten Komponisten und Arrangeure im populären Chorbereich, brachte die Sache auf den Punkt: „Die Idee mit dem Kanon-Wettbewerb finde ich super, weil sie nicht so leistungsorientiert ist wie die ganzen sonstigen Chorwettbewerbe, sondern alle abholt und Originalität fördert.“

Schneeballeffekt für die Zukunft

Das Projekt „Kanon -Wettbewerb“ ist bewusst so angelegt, dass es kein einmaliges Event für den eigenen Chor darstellt. Es möchte einen Schneeballeffekt für die Zukunft auslösen. Die Idee ist ein niederschwelliges Angebot für Kinder, Jugendliche, Erwachsene, für Kindergärten, Schulen, Chöre und – Keimzelle für all dieses – für Familien. Alle können und sollen mitmachen.

Es geht dabei nicht um die absolute Perfektion, die es nicht gibt, sondern um die Qualität des Musizierens. Der Kanon ist der Ausgangspunkt für das gemeinsame Musizieren, für das mehrstimmige Singen, Improvisieren und Komponieren. Alles, was zählt, ist Authentizität und Originalität mit dem Ziel, gemeinsam das Maximum dessen zu erreichen, was einem selbst und dem ganzen Ensemble möglich ist.

Der Kanon-Wettbewerb will Menschen zusammenbringen in einer Zeit, in der „Cancel Culture“ genau das Gegenteil bewirkt. Dieser erste Kanon-Wettbewerb begann klein und bescheiden in einem Chorverein, der ebenso ums Überleben kämpfte wie viele andere. In einer solchen Situation kann es nur eines geben: THINK BIG! Nicht verzweifelt nach Sängern suchen, die vielleicht 10 Jahre jünger sind als der Durchschnitt des Vereins, sondern eine Idee in die Welt setzen, die mitreißt, die machbar ist für alle! Die Idee muss begeistern. Sie muss andere dazu bringen mitzuarbeiten, ihre individuellen Fähigkeiten einzubringen, zu helfen und damit einen Erfolg zu landen. Siehe da! Plötzlich ist Sponsoren-Werbung wieder erfolgreich, weil man dafür wirbt, Kinder und Jugendliche mit dieser zündenden Aktion zum gemeinsamen Singen zu bringen.

Die Ausschreibung

Sie verband musikalische und choreographische Elemente miteinander: Musik und Bewegung, könnte man sagen. Vor allem ging es zusätzlich zur sängerischen Herausforderung um Kreativität. Zwei Kanons waren vorzutragen. Einer davon ist weltbekannt und durfte in unterschiedlichen Sprachen vorgetragen werden: „Bruder Jakob“, „Frère Jacques“, „Brother John“ oder „Fra‘ Martino“ u.a. Dieser Pflicht-Kanon musste choreographisch, pantomimisch oder als kleine Story mit vielen Ideen umgesetzt und präsentiert werden. Den anderen Kanon bestimmten die Teilnehmer. Der szenisch selbst gestaltete Pflichtkanon erwies sich als der Publikumsrenner. Er trug wesentlich zur Entscheidung des Publikumspreises bei, das einen eigenen Publikumspreis verleihen durfte.

Erfahrungen, Korrekturen

Der erste Kanon-Wettbewerb hat zahlreiche Erfahrungen gebracht und zu Korrekturen in der Zukunft geführt. Eine gemeinsame Ausschreibung für Kinder und Erwachsene ist nur im Segment Familiensingen empfehlenswert. Ansonsten sollten Kanon-Wettbewerbe gruppenspezifisch für Kitas, für Grundschulen, für Gymnasien oder Chöre jeglicher Besetzung ausgeschrieben werden. Jede dieser Gruppen besitzt gleiche Bedingungen, ist vergleichbar, was das Alter betrifft und die stimmlichen Möglichkeiten. 

Chöre, die selbst einen eigenen Kanon-Wettbewerb durchführen wollen und dazu Fragen haben, dürfen sich gerne und selbstverständlich unentgeltlich über die E-Mail des ersten Kanon-Wettbewerbs beim o.g. Veranstalter melden: kanonwettbewerb@gmx.de 

Freude des Miteinanders – Einstimmen in die Vielfalt

Dass es bei einem solchen Kanon-Wettbewerb um mehr gehen kann als um eine gelungene Aktion, betont Prof. Angela Nick, viele Jahre Gesangprofessorin an der Musikhochschule in Freiburg, heute Mitglied im Vorstand des Bundesverbands Deutscher Gesangspädagogen sowie Mitglied im Fachausschuss Bildung des Deutschen Kulturrates. Was sie den musikalisch Verantwortlichen der Vereine mit auf den Weg gibt, ist eigentlich das Wichtigste vom Ganzen: 

„Wie die Gesanglehrenden begleiten auch die Chor- und Ensembleleitenden den Weg der Stimmentwicklung, die Lust, die Stimme zu entdecken und mit ihr den Körper. Im Kanon ist die Freude des Miteinanders groß, denn das genaue Zuhören mehrerer Stimmen, das Einstimmen in die Vielfalt steigert die Begeisterung der eigenen Mit-Teilung. Durch jeden entsteht das Ganze.“

Wolfgang Layer

ZURÜCK